Zahnarzt zur Merz-Aussage
"Es gibt da immer wieder ein Anspruchsdenken"

Von Alexander Dinger
Stellvertretender Ressortleiter Investigation und Reportage

Stand: 05.10.2023 | Lesedauer: 4 Minuten

Im WELT-Talk hatte Friedrich Merz mit einer Aussage über Zahnersatzleistungen für abgelehnte Asylbewerber eine Debatte ausgelöst. Nach einem Faktencheck meldeten sich viele Leser, darunter auch Zahnärzte. Einer von ihnen ist Wolfgang Matscheck. Im Interview spricht er über seinen Praxis-Alltag.

Zahnarzt Dr. Wolfgang Matscheck sagt, dass Friedrich Merz eine wichtige Debatte angestoßen habe
Quelle: Dr. Wolfgang Matscheck

"Der Leistungsbezug für die Asylbewerber hier in Deutschland gehört auf den Prüfstand", sagte CDU-Chef Friedrich Merz im WELT-Talk. Und weiter: "Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine. Was Sie hier machen, ist eine Katastrophe für dieses Land."

Nach unserem Faktencheck meldeten sich zahlreiche Zahnmediziner. Viele wollen anonym bleiben. Manche sprechen aber auch offen - so wie Dr. Wolfgang Matscheck aus Neunkirchen-Seelscheid in Nordrhein-Westfalen.

In einem Leserbrief schrieb der Zahnarzt, dass Friedrich Merz sehr wohl einen Punkt getroffen habe und dass es zwangsläufig zu weiteren Defiziten sowie Beitragserhöhungen bei gleichzeitiger strikter Budgetierung der Zahnärzte kommen werde. Matscheck erklärte sich zu einem Interview bereit.

WELT: Wie hat sich das Verhältnis von Asylbewerbern zu normalen Kassenpatienten über die vergangenen Jahre entwickelt?

Wolfgang Matscheck: In meiner Praxis in Neunkirchen-Seelscheid schwanken die Zahlen der Asylbewerber. Es ist abhängig davon, wie viele Schutzsuchende der Gemeinde gerade zugeteilt und zum Teil nur vorübergehend dort unterbracht werden.

Als grobe Schätzung haben wir zeitweise zwei bis drei Prozent Asylbewerber beziehungsweise anerkannte Migranten und gehäuft Ukrainer.

"Die lassen sich die Zähne neu machen" - Was ist wirklich dran an Merz' These? Die Debatte um Merz' polarisierende Äußerung über die zahnärztliche Versorgung ausreisepflichtiger Asylbewerber reißt nicht ab. WELT-Investigativ-Reporter Alexander Dinger stieß bei seiner Recherche zu einem Faktencheck auf eine schwierige Datenlage: "Keiner hat mal Tacheles geredet."
Quelle: WELT/ Alexander Dinger

WELT: Gab es Situationen, in denen der Andrang von Asylbewerbern die Praxis vor Probleme stellte?

Matscheck: In seltenen Fällen wurden die Patienten von der gesamten Familie begleitet, was zu etwas unübersichtlichen Situationen im Rezeptions- und Wartebereich geführt hatte. Das haben wir für unsere Praxis mittlerweile unterbunden.

WELT: Wie handhaben Sie, wie handhaben Ihre Kollegen die Maßgabe, bei Asylbewerbern in den ersten 18 Monaten nur akute Notfälle zu behandeln? Legen manche diese Regel enger und manche weiter aus?

Matscheck: In der Regel wird bei uns und der Mehrzahl der Kollegen darauf geachtet, dass innerhalb des Asylverfahrens nur strikte Schmerzbehandlungen vorgenommen werden. Zahnersatzmaßnahmen finden nur im Rahmen von Reparaturen statt.

WELT: Trifft es nach Ihrer Erfahrung zu, dass - wie in den sozialen Medien oftmals behauptet - bei überdurchschnittlich vielen Menschen aus Asien und Osteuropa die Zähne in einem schlechten Zustand sind?

Matscheck: Die zahnärztliche Grundversorgung in den Herkunftsländern entspricht sehr oft nicht dem zahnmedizinischen Standard in Deutschland. Zahnlücken bleiben häufig unversorgt. Die Mundhygiene ist oft mangelhaft. Prophylaxe fand nicht statt.

Kariesläsionen sind unversorgt. Das alles muss natürlich auch im Kontext der Flucht aus den Herkunftsländern gesehen werden. Doch man kann schon sagen, dass die zahnmedizinische Versorgung in den Herkunftsländern der deutschen Versorgung nicht gleichgestellt werden kann.

WELT: Wurden Sie von Migranten mit der Erwartung konfrontiert, sich in Deutschland "die Zähne machen" zu lassen?

Matscheck: Ja, und dabei erstaunten mich deren Informationsstand und die Erwartungshaltungen, insbesondere bei Schutzsuchenden aus dem Bereich Naher Osten und den Maghrebstaaten.

WELT: Gibt es Anlass - wie zum Beispiel Renditen bei gewissen Eingriffen und Behandlungen -, Asylbewerber sogar gegenüber gesetzlich Versicherten vorzuziehen?

Matscheck: Das ist mir nicht bekannt, und dieser Sachverhalt ist mir völlig neu. Das wäre zudem skandalös, wenn man bedenkt, dass die Solidargemeinschaft bereit ist, diesen Menschen zu helfen.

WELT: Wie sieht es aus bei Behandlungen, die die gesetzliche Kasse nicht übernimmt und die man eigentlich selbst zahlen müsste - bekommen Asylbewerber diese Beiträge auch vom Sozialamt bezahlt? Oder müssen sie in Vorkasse gehen?

Matscheck: Wünschen anerkannte Asylbewerber nach 18 Monaten einen hochwertigeren, zum Beispiel festsitzenden Zahnersatz, werden ihnen die dann entstehenden Eigenanteile in Rechnung gestellt. Ob diese Rechnung dann vom Sozialamt nachträglich bezahlt wird, entzieht sich meiner Kenntnis.

WELT: Müssen Sie für Asylbewerber mehr Zeit einplanen, was dazu führt, dass Sie weniger Termine vergeben können?

Matscheck: Ja, und in der Regel ist eine Begleitperson zur Übersetzung dabei.

WELT: Treten bestimmte Konflikte mit Asylbewerbern in ihrer Praxis auf?

Matscheck: Ja, es gibt da immer wieder ein Anspruchsdenken - etwa mit Blick auf Implantate. Doch das wird dann durch klärende Gespräche schnell geklärt. In der Regel suchen diese Schutzsuchenden dann andere Praxen auf.

In einem Fall gab es in unserer Praxis eine grobe Tätlichkeit eines muslimischen Asylbewerbers gegenüber seiner Frau, was von meinem Team als besonders bedrohlich angesehen wurde. Diese Person erhielt dann ein Praxisverbot.

WELT: Traten gegenüber dem weiblichen Personal gewisse Probleme auf in Bezug auf Asylbewerber?

Matscheck: Ja, meine Assistenzärztin wurde einmal nicht zur Behandlung zugelassen. Mit Ausnahme von Schmerzfällen verlassen diese Patienten, in der Regel Männer einer bestimmten Glaubensgemeinschaft, meine Praxis dann unbehandelt.


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